Sadeta
Sie ist vielleicht 38 und hat zwei
herzige kleine Kinder, drei und vier Jahre alt. Ihr Mann, ein
gelernter Jurist, arbeitet als Hilfskoch. Da sein Lohn nie reicht,
verdient sie in jeder freien Minute dazu. Sie putzt.
Ich bin ein Chaot. Ich weiss nicht,
was ich ohne Sadeta tun würde. Sie ärgert sich nicht über den
Verlag in meinem Arbeitszimmer, sie weiss, wenn Sperrgut,
Altpapier oder Karton abgeholt wird. Immer fröhlich und guter
Dinge, organisiert sie einen grossen Teil meines Haushalts. Bevor
sie nach Hause geht, dankt sie mir jedesmal für die Arbeit, die
ich ihr gegeben habe. Meistens arbeitet sie länger, als sie
aufschreibt. Als ich einmal von mir aus eine zusätzliche Stunde
notierte, wurde sie böse und sagte, dass sie entscheide, wann sie
Überstunden mache. Dafür wolle sie kein Geld.
Kürzlich erzählte mir eine Bekannte,
dass ihr nach den Ferien die Vorhänge viel weisser vorgekommen
seien. Sadeta hatte sie als Überraschung zu sich nach Hause
genommen und gewaschen.
Wenn ich Sadeta in ihrem gepflegten
Heim besuche, erlebe ich immer wieder, wie die Nachbarn sie gerne
haben und ihr schon von weitem zurufen. Voller Stolz erzählte sie
mir letzthin, wie sie mit ihren Kindern übe, auf Deutsch zu
zählen.
Sadeta hat nur einen Fehler: Ihr Name
endet mit -ic. Sie haben richtig geraten. Sadeta kommt aus
Bosnien, aus Ex Jugoslawien. Wenn ich mich nicht verrechnet habe,
hätte sie das Recht, sich mit ihrer Familie in drei bis vier
Jahren um das Schweizer Bürgerrecht zu bewerben. Doch wird ihr das
wenig nützen. Ihre Familie lebt in einer Art Sippenhaft. Sie sind
„Jugos“.
„Jugos sind unehrlich und gewalttätig.
Ausserdem sind sie faul und kommen aus einem andern Kulturkreis.
Das wäre noch, wenn wir sie zu Schweizern machten! Unser Land muss
sich gegen sie schützen.“ Solches und noch viel Schlimmeres darf
ungestraft in Radio und Fernsehen in sogenannten Talkshows
verkündet werden. Tausende von Personen werden nur aufgrund ihrer
Volkszugehörigkeit vorverurteilt. Das ist Rassismus. Und wenn es
dann darum geht, unbescholtene, auf Herz und Nieren überprüfte
Familien aus Ex Jugoslawien ins Bürgerrecht aufzunehmen, werden
sie mit ihren kriminellen Landsleuten in einen Topf geworfen.
Von diesen gibt es leider sehr viele.
Da möchte ich nichts beschönigen. Doch können wir Spreu nicht vom
Weizen trennen? Ist es nicht möglich Gut von Bös zu unterscheiden?
Stellen wir uns einmal vor, über uns
würde so gesprochen:„Der Schweizer ist stur und verschlossen. Er
denkt immer zuerst ans Geld und hasst alles Fremde. Alle Schweizer
sind Putzteufel, Sauberkeit ist ihnen wichtiger als Kultur….etc.“
Zu Recht würden wir uns wehren und sagen, dass es keinen Schweizer
Prototyp gäbe, und dass jeder anders sei. Wir würden von unserer
fröhlichen, gastfreundlichen Freundin erzählen, vom
Lebenskünstler, der nie einen Rappen spart, aber vielleicht auch
vom „sturen Bock“, der immer etwas zu reklamieren hat.
Genauso ist es mit den Jugos, den
Juden, den Türken oder Tamilen. Es gibt keine Prototypen. Wir
müssen jeden zuerst kennen lernen, bevor wir ihn beurteilen
dürfen. Darum lehne ich auch die Einbürgerung durchs Volk ab. Wenn
wir aufgrund von Fotos und Namen stimmen, sind wir Vorurteilen
ausgeliefert.
Es leben viele „Sadetas“ in der
Schweiz. Machen wir doch die Augen auf und suchen wir sie!
28. März 2000